Es gilt das gesprochene Wort

Spielekritik konzentriert sich noch zu sehr auf Technik, Gameplay und Features. Dabei müssten Figuren und Dialoge längst mehr im Mittelpunkt stehen. Denn je erwachsener das Medium wird, desto höher steigt der Anspruch an die Geschichten, die es uns erzählt – und wie es das tut.

 

Life is Strange ist in vielerlei Hinsicht besser als Game of Thrones von Telltale. Die Figuren wirken lebendiger, ihre Animationen runder und lebensechter. Das Gameplay ist deutlich interessanter, die Athmosphäre zumindest origineller. Trotzdem ist Game of Thrones das viel bessere Spiel – und das liegt ausschließlich an den Figuren und ihren Dialogen.

 

„This will either be very good for both of us, or very bad for you“, sagt Tyrion am Ende der zweiten Episode von Game of Thrones zu Mira, einem der spielbaren Charaktere. Die Zeile ist nicht nur elegant und pointiert, sie ist auch effektiv. Denn die Telltale-Autoren erreichen damit mehrere Dinge: Erstens werden die Ergebnisse des gerade absolvierten Dialogs kurz und bündig zusammengefasst. Zweitens wird Spannung für die kommende Episode aufgebaut. Drittens erzählt der Satz einiges über Macht und Ungerechtigkeit in der Welt von Game of Thrones: Mira ist eine unbedeutende Adelige aus einer Familie auf der falschen Seite des Kriegs. Tyrion ist der Onkel des Königs, der eben jenen Krieg gerade gewinnt.

 

Life is Strange hat nicht eine Dialogzeile, die auch nur annähernd so clever ist. Stattdessen hat das Spiel mehrere, wortreiche innere Monologe der Heldin Max, die wohl an Serien wie My So-Called Life und Veronica Mars erinnern sollen, von denen aber nicht eine Zeile im Ohr des Spielers hängenbleibt. Noch schlimer sind furchtbare Dialogzeilen oder eher Klischeeparaden wie „You hella saved my life“ und „Annie Leibovitz, mad respect...“, die den Spieler per Fremdscham-Attacke komplett aus dem Spiel reißen.

 

Es hilft natürlich nicht, dass die schauspielerischen Leistungen in Life is Strange nur so mittelüberzeugend sind, während sich in Game of Thrones sogar Tyrion-Darsteller Peter Dinklage Mühe gibt – anders als zum Beispiel in Destiny. Und es hilft auch nicht, dass die ansonsten beeindruckende Technik von Life is Strange ausgerechnet bei den Dialogen versagt, weil kaum ein Satz synchron mit den Lippenbewegungen der Spielfiguren abgespielt wird.

 

Man könnte das für egal halten – schließlich haben Telltale-Spiele traditionell auch viele technische Macken, aber trotzdem viele Fans. Aber die sind offenbar bereit, viele Mängel zu verzeihen, so lange das Wesentliche stimmt. Life is Strange hat dagegen zwar viele wohlwollende Kritiken bekommen (unter anderem auch von mir), echte Begeisterung findet sich in den Foren und sozialen Netzwerken aber nicht.

 

Denn Spiele sind so wie Filme oder jedes andere Medium: Die Spezialeffekte können noch so bunt sein, die Darsteller noch so schön – Am Ende geht es um die Geschichte, die erzählt wird. Und eine Geschichte lebt und stirbt mit dem, was in ihr gesagt wird, wie es gesagt wird und von wem.

 

Verstanden haben das viele Entwickler aber offenbar nicht. Wie sonst ist es zu erklären, dass Sledgehammer Games für Call of Duty: Advanced Warfare viel Geld in einen digitalen Kevin Spacey investiert hat, aber aus seinem toll animierten Mund nur Klischees und Monologe unter James-Bond-Niveau rollen lässt? Und was nützt Assassin’s Creed Unity sein in abertausenden Arbeitsstunden nachgebautes Revolutions-Paris, wenn alle Charaktere darin nur Blödsinn redende Pappkameraden sind?

 

Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele: Bioware, mit seinen großartigen, ungewöhnlichen Charakteren, die sogar den von Spiel zu Spiel immer gleichen Plot vergessen lassen. Naughty Dog, die mit einem simplen „Okay“ am Ende von The Last of Us mehr sagen als der Jahresoutput von Activision und Ubisoft zusammen. Und überraschend sogar „Wolfenstein: The New Order“. Darin wird zwar auch viel pathetischer Quatsch geredet – aber es gibt trotzdem genug pointierte, spannende, lustige oder wenigstens glaubwürdige Dialoge, mit denen der alberne B-Movie-Plot des Spiels weit über seiner Gewichtsklasse boxt.

 

Ein Trend sind diese erfreulichen Beispiele noch nicht, aber immerhin ein Anfang. Damit daraus mehr wird, sind auch Spielekritiker gefragt. Spiele, die sich die Mühe machen, gute Dialoge und interessante Charaktere zu schreiben, sollte man dafür auch loben – und Dialoge voller Klischees und Langeweile auch kritisieren, und zwar heftig. Spaß können solche Spiele immer noch machen, wenn das Gameplay und die Technik stimmen. Aber wirklich im Gedächtnis bleiben am Ende die Spiele, die gelegentlich, und sei es nur mit einem guten Satz, auch Hirn und Herz berühren.